Weiteres Schmerzengeld nach Globalbemessung – Unvorhersehbarkeit der zusätzlichen Schmerzen

Auch nach einer umfassenden („globalen“) Bemessung von Schmerzengeld können weitere Schmerzengeldforderungen geltend gemacht werden, wenn später zusätzliche Beeinträchtigungen auftreten, diese unvorhersehbar waren und deshalb im Vorprozess nicht berücksichtigt werden konnten.

  

SACHVERHALT

Die Klägerin wurde im Kindesalter über zehn Jahre lang von ihrem Vater sexuell missbraucht. Im Jahr 2007 wurde der Vater wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen sowie Unzucht mit Unmündigen verurteilt. Die Klägerin schloss sich dem damaligen Strafverfahren als Privatbeteiligte an und erhielt ein Schmerzengeld in Höhe von EUR 12.100 zugesprochen. Grundlage für den Zuspruch des Schmerzengeldes war ein Gutachten, welches unter anderem davon ausging, dass die posttraumatischen Belastungsstörungen der Klägerin bereits weitgehend abgeklungen seien.

In der Folge entwickelte die Klägerin jedoch eine andauernde Persönlichkeitsstörung. Sie verlangte deshalb vom beklagten Vater ein zusätzliches Schmerzengeld in Höhe von EUR 65.000. Zudem begehrte die Klägerin die Feststellung, dass der Beklagte für sämtliche zukünftigen Schäden, die aus dem Missbrauch resultieren, zu haften habe.

Der Beklagte wendete ein, dass die Persönlichkeitsstörung bereits im damaligen Strafverfahren im Jahr 2007 erkennbar gewesen sei und deshalb ein erneutes Schmerzengeldbegehren nicht geltend gemacht werden könne. Zudem könnten die Dauerfolgen nicht beurteilt werden, was zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage der Klägerin führe.

 

RECHTLICHE BEURTEILUNG

Das Erst- und das Berufungsgericht hielten den Zuspruch eines Schmerzengeldes in Höhe von insgesamt EUR 40.600 für angemessen und folgten der Ansicht des Beklagten nicht. Dagegen erhob er Revision an den Obersten Gerichtshof (OGH).

Der OGH sprach aus, dass bei Schmerzengeldansprüchen nach sexuellem Missbrauch der gesamte Komplex der Schmerzempfindung erfasst werden müsse. Dabei komme es auf die Art, Dauer und Intensität der physischen und psychischen Schmerzen an, woraus schließlich eine „Globalsumme“ auszumitteln sei. Dass laut einem Gutachten Spät- oder Dauerfolgen nicht zu erwarten seien, reiche nach ständiger Rechtsprechung des OGH zur Verneinung des Begehrens der Klägerin nicht aus.

Die Geltendmachung weiterer Schmerzengeldforderungen seien auch nach bereits erfolgtem Zuspruch von Schmerzengeld zulässig. Würden die Beeinträchtigungen erst später auftreten und seien diese unvorhersehbar gewesen, hätten sie durch den Vorprozess nicht berücksichtigt werden können. Die fehlende Vorhersehbarkeit sei dabei zwar objektiv, jedoch aus der Perspektive der Geschädigten zu beurteilen.

Für eine inhaltliche Entscheidung des OGH sei die Beantwortung einer erheblichen Rechtsfrage nötig, welche nicht nur auf Einzelfälle, sondern in Zukunft auf mehrere ähnlich gelagerte Sachverhalte anwendbar sei. Bei der Bemessung eines Schmerzengeldanspruchs sei jedoch in der Regel auf den Einzelfall abzustellen, weshalb die Revision des Beklagten als unzulässig zurückzuweisen sei.

 

OGH 21.04.2015, 3 Ob 28/15m