Grundlose Ablehnung persönlichen Kontakts schließt die Pflichtteilsminderung aus

Eine Pflichtteilsminderung nach § 773a Abs 1 ABGB verlangt ein fehlendes Naheverhältnis zwischen Erblasser und pflichtteilsberechtigtem Erben. Die grundlose Ablehnung des persönlichen Kontakts mit dem Sohn schließt jedoch die Möglichkeit des Erblassers aus, dessen Pflichtteil nach § 773a Abs 1 ABGB um die Hälfte mindern zu können. Ist dem Sohn ein persönlicher Kontakt mit dem Vater aufgrund dessen Verhaltens in der Vergangenheit jedoch nicht zumutbar, steht ihm trotzdem der volle Pflichtteil zu.

  

SACHVERHALT

Der Kläger ist der uneheliche Sohn des im Jahr 2009 verstorbenen Erblassers. Eine typische Vater-Sohn-Beziehung hat zwischen den Beiden niemals existiert. Außerhalb der stattgefundenen Unterhaltsverfahren fand kein persönlicher Kontakt statt.

Im Jahr 1984 drohte der Vater dem Kläger im Rahmen eines Unterhaltsverfahrens, dass er den Kläger sowie dessen Mutter umbringen werde. Während einer weiteren Unterhaltsverhandlung im Jahr 1995 beschimpfte er den Kläger als „Bastard“, den man hätte abtreiben lassen sollen. Daraufhin unterließ es der Kläger, weiterhin Kontakt mit dem Vater zu suchen.

Der Vater verstarb im Jahr 2009. Der Kläger erhielt jedoch nur die Hälfte seines Pflichtteils, da der Vater die Verminderung seines Pflichtteilsanspruchs nach § 773a Abs 1 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) um die Hälfte angeordnet hatte. Der Vater hatte behauptet, dass niemals ein Naheverhältnis zwischen ihm und dem Kläger bestanden habe.

Der Kläger verlangte daraufhin von den anderen Erben die zweite Hälfte des Pflichtteils. Die vom Vater angeordnete Pflichtteilsminderung sei gemäß § 773a Abs 3 ABGB unwirksam, da es der Vater war, der durch sein eigenes Verhalten kein Naheverhältnis zugelassen habe. Zudem seien dem Kläger durch das Verhalten des Vaters weitere Kontaktaufnahmeversuche unzumutbar gewesen.

 

RECHTLICHE BEURTEILUNG

 Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht wiesen das Begehren des Klägers vollständig ab und führten aus, dass der Erblasser den Pflichtteil des Klägers zu Recht um die Hälfte gemindert habe. Es habe zu keiner Zeit ein Naheverhältnis bestanden.

Laut Oberstem Gerichtshof (OGH) ermögliche es § 773a Abs 3 ABGB, eine Pflichtteilsminderung wegen des fehlenden Naheverhältnisses zwischen Erblasser und pflichtteilsberechtigtem Erben zu beseitigen, wenn der Erblasser den persönlichen Kontakt mit dem pflichtteilsberechtigten Erben abgelehnt habe. Grundsätzlich führe § 773a Abs 3 ABGB jedoch nur dann zur Aufhebung der angeordneten Pflichtteilsminderung nach § 773a Abs 1 ABGB, wenn es einen aktiven Kontaktaufnahmeversuch seitens des Pflichtteilsberechtigten gab und der Erblasser diesen ohne jeglichen Grund abgelehnt habe.

Sei dem Kläger eine Kontaktaufnahme aufgrund des moralisch verwerflichen Verhaltens des Erblassers (Morddrohungen, Beschimpfungen) jedoch nicht zumutbar, wäre vom Erfordernis des Kontaktaufnahmeversuchs nach Ansicht des OGH eine Ausnahme zu machen. In diesem Fall müssten die anderen Erben des verstorbenen Vaters nachweisen, dass dem Kläger eine Kontaktaufnahme sehr wohl zumutbar gewesen wäre.

Dass seit den beleidigenden Äußerungen des Vaters ein großer Zeitraum von mehreren Jahrzehnten verstrichen sei, reiche für die Zumutbarkeit eines erneuten Kontaktaufnahmeversuchs nicht aus. Der Kläger erhielt somit die zweite Hälfte seines Pflichtteilsanspruchs zugesprochen.

 

OGH 19.03.2015, 6 Ob 226/14z